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„Weinhebers Koffer“ – Theater trifft Erinnerung

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Am 7. und 8. Dezember 2025 luden wir in das Kulturforum Görlitzer Synagoge, sich das Theaterstück "Weinhebers Koffer" anzusehen. Im Rahmen der Veranstaltung stellten wir zudem unsere neue digitale Lernplattform zum Görlitzer Jüdischen Friedhof vor. Wie im Theaterstück ein einzelner Gegenstand eine ganze Biographie sichtbar macht, so bewahrt auch der Görlitzer Jüdische Friedhof einzelne Spuren der jüdischen (Vorkriegs-)Gemeinde – Fragmente, die von Leben, Schicksalen und kulturellem Reichtum erzählen. Unsere Plattform bietet die Möglichkeit, dieses Wissen zu entdecken, zu verstehen und weiterzutragen.

Ein kurzer Nachtrag zum Veranstaltung:

Den Leben ein Denkmal: dem Vergessen entrissen

Am Sonntagabend und zweimal am Montag begrüßten wir das Publikum im Kulturforum Görlitzer Synagoge zur Aufführung des Stücks „Weinhebers Koffer", das nach einem Roman von Michel Bergmann durch Rimon Productions inszeniert wurde.

Im Roman wird die Geschichte des Journalisten Elias Ehrenwert erzählt. Als er für seine Freundin Lisa Winter ein Geburtstagsgeschenk sucht, stößt er bei einem Antiquar auf einen Koffer, der die Initialen L. W. trägt. Zu Hause findet er darin die Visitenkarte des Vorbesitzers Dr. Leonhard Weinheber. An der genannten Adresse stößt der Journalist auf Stolpersteine, die vermutlich an Verwandte Dr. Weinhebers erinnern, die 1943 in Auschwitz ermordet worden sind. Wer aber war Leonhard Weinheber und was ist mit ihm passiert? Diese Frage steht im Zentrum des Romans und des Stücks.

Wir folgen Elias Ehrenwert von Berlin nach Israel und zurück – jenen Weg, den auch der Koffer im Laufe der letzten acht Jahrzehnte gegangen ist. Nach und nach ermittelt Ehrenwert die Lebensgeschichte Weinhebers, der selbst Schriftsteller war und in der Zeit des Nationalsozialismus aus seiner Heimat Deutschland vertrieben wurde. Dabei stößt Ehrenwert auch auf ein unveröffentlichtes Manuskript, in dem Weinheber sich mit dem Terror gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland beschäftigt, den es bereits vor der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur gegeben hat. 

Ein großer Teil der Handlung von Bergmanns „Weinhebers Koffer" spielt in Israel bzw. im Mandatsgebiet Palästina, in das Weinhebers Geliebte geflohen war und wohin dieser ihr folgen wollte, bevor er 1939 auf rätselhafte Weise verschwunden ist. Der Konflikt in und um den Staat Israel sowie das Zusammenleben zwischen Juden* und Arabern* in der Region spielt durchweg ebenfalls eine Rolle. Im Zentrum all dessen steht das alles vor und nach ihm überschattende, in jede Dimension der Geschichte des Stücks ausgreifende Ereignis der Scho'a.

Wie mit jedem seiner über zehn Bücher hat Michel Bergmann auch mit „Weinhebers Koffer" dem deutschen Judentum, den jüdischen Deutschen, ein Denkmal gesetzt. Bergmann wurde 1946 als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren. Er wuchs in Paris und Frankfurt am Main auf. Er arbeitete als Journalist und Regisseur und veröffentlichte ab 2010 eine ganze Reihe an Büchern, in denen er die jüdische Geschichte Deutschlands vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart erzählte.

Seine Bücher prägt ein Motiv, das seinem jüdischen Hintergrund entspringt: die Namen und Geschichten der Menschen nicht zu vergessen. Ganz explizit wird das in der Widmung seines 2010 erschienenen Debütromans „Teilacher" seinem Onkel David B.. Ein anderes Buch, das über 20 Jahre später unter dem Titel „Mameleben" erscheint, ist eine Aufarbeitung der Beziehung zu seiner Mutter, einer Überlebenden der Scho'a, deren Trauma auch sein Leben prägte. In dem Buch lässt er seinen Stiefvater eine belastende Geschichte erzählen und anschließend sagen: „Es fällt mir leichter zu gehen, denn die Geschichte ist in der Welt." Für Bergmann ist der Gedanke, dass seine Bücher die Menschen – seinen Onkel, seine Mutter, seinen Stiefvater und auch ihn selbst – überleben werden, ein Motor seines Schaffens.

Michel Bergmann ist im Sommer dieses Jahres gestorben. Seine Feder ruht nun. Aber seine Stimme, eine der bedeutendsten, weil authentischsten und tief berührenden Stimmen des gegenwärtigen deutschen Judentums, spricht durch sein Werk weiter. Die „Teilacher"-Trilogie erzählt die Geschichte der Juden in Frankfurt am Main nach 1945 bis in die Gegenwart. Der äußerst zugängliche und einnehmende Text der drei Bücher kann sich trotz seines belletristischen Charakters in seiner Sachlichkeit mit aktuellen Texten der Forschung zum selben Thema messen. Bergmanns literarisches Werk ist zugleich eine jüdische Kulturgeschichte Deutschlands.

Die Produktionsfirma Rimon unter der Leitung von Britta Shulamit Jakobi hat den dritten Teil der Trilogie und eben auch „Weinhebers Koffer" liebevoll und sehr überzeugend inszeniert. Für die Abschlussveranstaltung unseres Projekts MITZVAH haben wir uns für die Aufführung des letzteren entschieden. Denn so wie der Journalist Ehrenwert ausgehend von einem Koffer die gesamte Biografie des Autors Weinheber rekonstruiert, so sehen wir uns in Görlitz im Falle von hunderten Angehörigen der jüdischen Vorkriegsgemeinde mit der Herausforderung konfrontiert, in der großen Mehrheit der Fälle nicht mehr als einen Grabstein – und manchmal nicht einmal das – als Ausgangspunkt einer Recherche zur Verfügung zu haben.

Das ist die schmerzliche Wirklichkeit im postnationalsozialistischen Deutschland, in dem von den hunderttausenden ermordeten und vertriebenen deutschen Juden scheinbar nicht einmal mehr die materiellen Spuren sichtbar sind. Scheinbar – denn wer genau hinschaut, entdeckt die Spuren, die diese Menschen in der Stadt hinterlassen haben, in der wir heute leben und arbeiten.

Mit MITZVAH wollen wir, ausgehend vom Jüdischen Friedhof, dem größten Kulturerbe des vergangenen jüdischen Lebens der ganzen Region, einen neuen Zugang zur individuellen Auseinandersetzung mit diesem Thema bieten. Unsere neue Webplattform ist ein Ausgangspunkt für unser aller weitere Arbeit am Ziel, die Geschichten der Menschen zu erzählen und sie dem Vergessen zu entreißen. Wir laden alle ein, sich diesem Anliegen anzuschließen.

Schaut doch mal auf die Website: www.mitzvah.eu.

Die Veranstaltung ist Teil des Projekts MITZVAH und erfolgte in Kooperation mit dem Kulturforum Görlitzer Synagoge und Rimon Productions.

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